In den Medien wurde dem Thema Bewertungsreserven bei Lebensversicherungen in den letzten Monaten größere Aufmerksamkeit gewidmet. Regierung und Opposition haben sich gegenseitig beschuldigt, kurzsichtig bzw. sozial ungerecht zu agieren. Auch ist dieses Thema noch keineswegs vom Tisch, nach der Wahl im September wird es wieder auf der Tagesordnung stehen. Wir wollen daher im folgenden Text einen kurzen Überblick über die Hintergründe dieser Thematik geben, so dass man in der Lage ist, der Debatte zu folgen.
Die erste Frage, die sich stellt ist, was eigentlich Bewertungsreserven sind. Am einfachsten ist es, wenn man dies vom Blickwinkel Anleihen betrachtet – um diese ging es in der jüngsten Debatte auch vordringlich. Kauft eine Lebensversicherung beispielsweise im Jahr 2007 eine 10-jährige Bundesanleihe mit einer Verzinsung von 4,5%, dann wird sie diese üblicherweise bis zur Fälligkeit in ihrem Portfolio halten. Sinken nun die Zinsen am Markt, wie es in den Jahren 2008 bis heute geschehen ist, dann wird diese alte Anleihe im Wert (d.h. im Kurs) steigen, da sie mehr Zinsen abwirft, als „Neue“ Bundesanleihen mit der gleichen Laufzeit.
Der Kurs ist dann z.B. nicht mehr 100% sondern 120%. Diese Differenz ist die Bewertungsreserve: Die Anleihe ist 120% wert, sie wurde aber für 100% gekauft. Es handelt sich hier jedoch eben nur um einen Buchgewinn, also eine Reserve, die nur durch die Bewertung nach dem Tageskurs zustande kommt, da die Versicherung die Anleihe ja nicht verkauft, sondern bis zur Endfälligkeit und Rückzahlung zu 100% in ihren Büchern behält. Auf lange Sicht gesehen ist dieser Kursgewinn also irrelevant.
Nach der bisherigen Gesetzgebung war es so, dass die Kunden aktuell fälliger Versicherungen hälftig an diesen Bewertungsreserven beteiligt werden mussten. In der Vergangenheit war dies die Gewähr dafür, dass auch in Zeiten niedriger Zinssätze eine ordentliche Rendite für alle Versicherungsnehmer erzielt werden konnte. Im Zuge der europäischen Staatsschuldenkrise befinden sich die Zinsen jedoch auf einem historischen Tiefpunkt, nämlich fast am Anschlag bei 0,5%. Werden jetzt Lebensversicherungen fällig, müssen die Versicherer folglich Teile ihres Anleiheportfolios verkaufen, um die Bewertungsreserven zu realisieren und diese dann an die Inhaber der fälligen Versicherungen ausschütten zu können.
Die Frage ist, was dann kommt. Auch die Versicherungsnehmer, deren Lebensversicherung erst in 5 Jahren fällig wird erwarten eine ordentliche Rendite. Neue Bundesanleihen rentieren jedoch nur noch mit 1,2%, was kaum einen Kunden hinter dem Ofen hervorlockt. Das Problem liegt also darin, dass die Versicherung durch das aktuelle Gesetz gezwungen ist, die hochverzinsten Anleihen zu verkaufen, um die Inhaber der fälligen Versicherungen auszahlen zu können, aber diese Wertpapiere eigentlich bräuchte, um weiterhin guten Ertrag für die übrigen Kunden zu erwirtschaften. Damit würden nämlich alle von diesem Papier profitieren und nicht nur die Kunden, deren Versicherung gerade fällig geworden ist. Die aktuelle Regelung begünstigt also die jetzt fälligen Versicherungen zu Lasten der Versicherungen, die noch weiterhin laufen.
Dies war auch der Grund, weshalb sich die Bundesregierung dazu entschlossen hatte, diese Beteiligung an den Bewertungsreserven auszusetzten, damit auch die Inhaber der zukünftig fälligen Versicherungen eine ordentliche Rendite erzielen können. Selbstverständlich bedeutet dies, dass die jetzt fälligen Versicherungen auf ihre fetten Buchgewinne verzichten müssten.
Durch schlechte Kommunikation und die dankbare Nutzung der Opposition, die so wieder einmal ihre soziale Gerechtigkeitsschiene fahren konnte (ohne sich um die dahinter stehenden Fakten bemühen zu müssen, es geht ja gegen die bösen Versicherungen), wurde diese Gesetzesänderung, die eigentlich die Versicherungsnehmer schützen sollte, nun zu einer Operation der Versicherungslobby umgedeutet, die sich so die Taschen füllen wollte.
Es kam, wie es kommen musste, Rot-Grün blockte das Gesetz im Bundesrat ab, so dass die Versicherungen weiterhin ihre hochverzinsten Papiere verkaufen müssen, um die Inhaber jetzt fälliger Versicherungen an den Buchgewinnen zu beteiligen – zu Lasten der Besitzer zukünftig fälliger Versicherungen. Übrigens warnt auch die Bafin, dass diese Praxis nicht lange gutgehen kann, wenn das Zinsniveau auf dem derzeit niedrigen Niveau verharrt (wovon auszugehen ist).
Man kann nur hoffen, dass die politisch Verantwortlichen sich zusammenraufen werden und jenseits von Populismus, Wahlkampfgetöse und Anti-Versicherungs-Gepolter das Problem angehen werden. So wie es jetzt läuft, kann es nämlich nicht lange weitergehen – zumindest nicht dann, wenn man nicht zu Lasten vieler Versicherungsnehmer die Inhaber jetzt fälliger Versicherungen bevorzugen will.